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Aus der Komfortzone kommen und ohne Kapitalismus leben

Das Netzwerk RESC verbindet gleichgesinnte Kollektive, Landwirtschaftskooperativen, Volksversammlungen, Bildungsgruppen und weitere Gruppen in Frankreich. Das Ziel: Alternativen aufbauen, um eine postkapitalistische Gesellschaft bereits im Jetzt zu leben.

Es gibt bereits viele Beispiele für kommunalistische Kultur und Praxis – sie miteinander zu vernetzen, ist die Absicht des Réseau Écologie Sociale et Communalisme (Netzwerk Soziale Ökologie und Kommunalismus, RESC) in Frankreich. In ihrem Grundlagentext (“feuille de route”) rufen sie alle Gruppen, in ihren jeweiligen Territorien, dazu auf sich zu konföderieren.

Rund zehn Gruppen haben sich bereits zusammengeschlossen, darunter Einwohner*innen-Initiativen, Versammlungen1, Landwirtschafts- oder Bildungsprojekte. Der Aufruf zur Vernetzung richtet sich auch an antipatriarchale Organisationen, an migrantische Solidaritätsguppen oder an die ZAD-Bewegung. Die bei RESC beteiligten Kollektive und Personen treffen sich regelmässig, so steht als nächstes im Mai eine dreitägige Zusammenkunft mit Workshops, Vorträgen und kulturellem Programm an. Im Juli wird das RESC zudem am libertären Treffen in St. Imier (Schweiz) mitwirken.

Die drei Hauptachsen, mit denen sich das RESC beschäftigt, sind:

  • Autonomie (Produktion, Verteilung, Tausch, Geld)
  • Wiederaneignung der Commons
  • populäre Bildung, politische Gegenmacht, konkrete Alternativen

Netzwerk in veschiedenen Regionen aktiv

Wir haben mit Rémy vom RESC gesprochen, der uns etwas genauer erzählt, was es mit dem Netzwerk auf sich hat.

Rémy nennt zwei Initialzündungen, die zur Bildung des RESC geführt haben. Zum einen wurde vor einigen Jahren ein Institut für Soziale Ökologie und Kommunalismus (Institut d’ écologie sociale et communalisme) gegründet, das ein grosses Treffen in Lyon veranstaltete. Laut Rémy haben es einen eher intellektuellen Charakter gehabt und sei weit weg vom Konkreten gewesen. Inzwischen hat es sich aufgelöst. Zum anderen präsentierte der Autor Floréal Roméro sein Buch “Agir ici et maintenant” (“Hier und jetzt handeln”, eine Auseinandersetzung mit den Theorien von Murray Bookchin, 16 €) auf einer kleinen Buchtour.

Rémy arbeitete damals in der Bourgogne, wo er einen libertären Buchsalon führte. Seine Aktivitäten hätten ihn aber nicht befriedigt: Es habe sich alles um Gegenmacht gedreht, aber was ihm gefehlt habe, sei das konstruktive Moment gewesen. Dann sei er auf Floréal Roméro gestossen, der sehr strukturiert aufzeige, wie ein Postkapitalismus im Jetzt konstruiert werden könnte, ohne zu warten.

Auf der Buchtour begegneten sich verschiedene Leute, die ähnliche Ideen hatten und eine lokale Ökonomie aufbauen wollten. So entstand die Idee, ein Netzwerk zu bilden. Die beteiligten Gruppen kommen aus unterschiedlichen Regionen von Frankreich, hauptsächlich aus den Regionen Cévennes, Avergne, Ardèche, Pyrénées, Massif Central, aber auch aus der Bretagne und dem Nordwesten. Ein paar Mal hat sich das RESC bereits getroffen, jeweils mit 30 bis 40 Personen, die an den Diskussionen teilnahmen, jede*r als Vertreter*in ihrer lokalen Kollektive, Kooperativen, Feminismus-, Landwirtschafts- oder Bildungs-Initiativen.

Am erstes Treffen wurde der erwähnte Text “feuille de route” konsensbasiert erarbeitet und im letzten Oktober bildeten sich Arbeitsgruppen, beispielsweise zu Autonomie oder Commons.

Bildung, Gegenmacht und Alternativen

Neben Autonomie und Gegenmacht ist der dritte Grundpfeiler, wie oben erwähnt, wiederum in drei Bereiche geteilt.

1. Populäre Bildung. Hier geht es darum, über Themen, die in der Luft schweben, zu diskutieren. Bildung soll den Menschen zu ermöglichen, sich mittels Reflexion zu bereichern; sie will ihnen Tools und Kenntnisse über Ursachen geben. Sie regt an, darüber nachzudenken, wo wir uns in der globalen und historischen Situation befinden; welche Beziehung wir zur repräsentativen Demokratie haben; welche gesellschaftlichen Änderungen wir vorschlagen. Dazu gehören auch Gesprächsübungen gemacht, bei denen alle die Gelegenheit haben, sich auszudrücken.

2. Antikapitalistische Gegenmacht (“rapport de force”) aufbauen. Rémy gibt zwar zu, dass er nach Jahren des Aktivismus müde ist von vielen Demonstrationen, die wenig Erfolg brachten. Trotzdem sieht er grosses Potenzial in widerständischen Bewegungen wie beispielsweise die Bewegung “Soulèvements de la Terre”.

3. Alternativen auf dem eigenen Terrain konstruieren. Das können beispielsweise Wohnungskollektive oder Produktionskooperativen sein. Rémy sieht in ihnen ein “gesellschaftliches Labor”.

Die Rolle des RESC ist es, die Tools der populären Bildung, die Bewegungen (wie die “Soulèvements de la Terre”) oder landwirtschaftliche Bewegungen) und die Alternativen miteinander zu verbinden.

Experimentieren statt fertige Lösungen

Persönlich hat Rémy das Glück, in einer Kommune zu leben, die bereits eine sehr konkrete Praxis hat. Wenn Besucher*innen kommen, beobachtet er oft, dass sie den Wunsch haben, ihr Leben zu verändern, und darauf warten, dass ihnen eine Lösung präsentiert wird. Er mache ihnen dann jeweils klar, dass die Lösung, die er zusammen mit seinen Bezugspersonen gefunden habe, nicht auch zwingen für sie passen müsse.

Auch “libertäre” Personen hätten viele Reflexe verinnerlicht, die aus der kapitalistischen Kultur stammen, fügt Rémy hinzu. Grössere Schritte zu gehen, beispielsweise auch Materielles zu teilen, sei noch eine hohe Hürde für viele. Anstatt fertige Lösungen zu präsentieren, bevorzugt er “Übungen” und ein “imaginatives Umherschweifen”.

Sein Traum ist es, diese Experimente in eine andere Grössenordnung zu skalieren: Wenn es nicht nur 20’000 landwirtschaftliche Kleinbetriebe gäbe, sondern eine Million, dann könnten sie, als Konföderation, zu einer Kraft werden.

Zurzeit ist das RESC erst im Aufbau und es begreift sich wirklich als ein Netzwerk, das Verbindungen zwischen Gruppen herstellt. Viele der beteiligten Aktivist*innen seien im Bereich Soziale Ökologie oder Kommunalismus tätig, auch wenn sie sich nicht auf Bookchin bezögen, erklärt Rémy.

Eine Website hat das RESC noch nicht, aber es ist geplant, dass Inhalte auf ecologiesociale.ch hochgeladen werden (eine Website in der französischsprachigen Schweiz mit Informationen über Soziale Ökologie), wo auch schon der Text “feuille de route” zu finden ist. Ausserdem gibt das RESC eine zweiseitige Wandzeitung heraus, die an verschiedenen Orten veröffentlicht wird, beispielsweise am öffentlichen Aushang von Gemeindehäusern. Eine Arbeitsgruppe schreibt jeweils einen politischen Text für die erste Seite, auf der zweiten Seite berichten die lokalen Kollektive von ihren Aktualitäten.

Was sagen eigentlich die Bürgermeister (“maires”) in den Gemeinden zu den Aktivitäten von RESC? Manche sind überhaupt nicht interessiert, sagt Rémy, während andere froh seien, dass es in der Region engagierte Kollektive gebe. Neben der Landwirtschaft und der lokalen Ökonomie nennt Rémy ein weiteren wichtigen Bereich, um mehr Leute zu erreichen: eine kulturelle Agenda mit Theater, Konzerten usw.

Kapitalismus bekämpfen, Alternativen aufbauen

Zusammenfassend meint Rémy, dass es schon sehr viele Leute, die sehr gute Arbeit im Sinn der Sozialen Ökologie leisten würden. Aber was sie machen, sei noch nicht genug. Es brauche den Willen, noch einen Schritt weiter zu gehen, das Gereifte noch reifer zu machen (“de maturiser le mature”): “Wir müssen wirklich aus der Komfortzone kommen und ohne Kapitalismus leben.”

Das RESC gehe diesen Weg auf zwei Beinen: einerseits den Kapitalismus bekämpfen, andererseits Alternativen konstruieren.

Aber das braucht alles Zeit, ist sich Rémy bewusst. Es sollte nichts überstürzt werden: Von Tal zu Tal, von Kollektiv zu Kollektiv müssten alle ihren richtigen Rhythmus finden.

Bild: Bastien Sens-Méyé, Cascade au centre du village de Florac (cropped) CC BY-SA 4.0

Infos auf Englisch und Französisch: Roadmap for the Social Ecology and Communalism (SEC) Network/FEUILLE DE ROUTE DU RÉSEAU Ecologie Sociale et Communalisme

1 Beispielsweise in der Gemeinde Florac in den Cévennes gibt es eine ständige Versammlung der Einwohner*innen (“assemblée permanente”).