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Kommunalist*innen vernetzen sich, um kollektive Kraft aufzubauen

150 Jahre nach Gründung der Antiautoritären Internationale trafen sich über 4000 anarchistisch/linkslibertär eingestellte Menschen im Schweizer Jurastädtchen St. Imier. Unter den verschiedenen Strömungen war auch der Kommunalismus vertreten. Es wurde deutlich, dass dessen Grundidee – basisdemokratische Lokalversammlungen, die sich konföderieren – in vielen Ländern ihre Anhänger*innen hat, auch strömungsübergreifend. Der internationale Kongress bot ihnen eine Gelegenheit, sich zu vernetzen, um in Zukunft mehr kollektive Kraft zu entwickeln. Sie sehen Soziale Ökologie als “Vorschlag, wie wir den Kapitalismus hinter uns lassen und unser Leben gemeinsam in die Hand nehmen können”.

An einem Freitagmorgen im Juli 2023 füllte sich die “Salle des Spectacles” in St. Imier mit mehr und mehr Interessierten, die etwas über Soziale Ökologie und Kommunalismus erfahren wollten. Als Floréal Romero vom Reseau Écologie Sociale et Communalisme (RESC) schliesslich seinen Workshop begann, hatten sich rund 150 Kongressteilnehmer*innen in einem grossen Kreis um ihn herum geschart.

Der Aktivist und Buchautor beschrieb die Soziale Ökologie als eine Kritik an herkömmlichen Umweltschutzbewegungen, die den Kapitalismus und den Wachstumszwang ausser Acht lassen, und stellte klar: “Es ist das Ende der Menschen auf diesem Planeten, wenn es nicht gelingt, den Kapitalismus zu beenden.”

Die ökologische Krise und die soziale Krise sind zwei Seiten derselben Medaille – eine Krise, die von unseren Herrschaftsverhältnissen herrührt. Mit seiner Theorie des Kommunalismus bietet Murray Bookchin eine pointierte Analyse, um diesem Problem zu begegnen.

Laut Floréal Romero baut Murray Bookchin seine Theorie auf drei Analysen auf:

  • Marx: Analyse des Kapitalismus
  • Anarchismus: Konföderalismus und Ablehnung von Herrschaft
  • Ökologie: Der Kapitalismus zerstört die ökologische Diversität und er zerstört die Verbindungen, die die Gesellschaft zusammenhalten – “C’est la même chose!” (“Das ist dieselbe Sache!”)

Allerdings gestalte sich der Dialog schwierig, bemerkte Floréal Romero, weil der Kapitalismus nicht nur etwas Externes sei, sondern eine Struktur, die wir alle emotional und intellektuell internalisiert hätten. Niemand kenne die richtige Lösung, auch Bookchin nicht – dafür brauche es unsere kollektive Intelligenz. “Der Kommunalismus ist keine Ideologie, sondern eine sehr offene Sache, ein Horizont”, betonte Romero. Die freie Kommune sei ein strategischer Vorschlag, um aus dem Kapitalismus auszubrechen. Bookchin zeige gewisse Richtungen auf, aber es liege an uns, eine kollektive Intelligenz zu entwickeln, um auf dem Weg voranzuschreiten.

Aber wie können wir agieren? Wie gelingt es uns, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen? Das Publikum wies auf indigene, dekoloniale oder ökofeministische Perspektiven hin. Für Rojava z. B. sei die Frauenrevolution ein zentraler Grundpfeiler und nicht nur ein zufälliges Element. Wie eine Person sagte, sind Patriarchat, Binarität, die Ausbeutung von Arbeit und die Ausbeutung der Natur derselben Logik unterstellt, von der der Kapitalismus profitiert. Auf der anderen Seite ergänzen sich die Sorge um Menschen und die Sorge um Ökosysteme.

Keine Avantgarde, sondern ein offener Horizont

Murray Bookchin habe die Geschichte der Herrschaft und die Geschichte der Emanzipation neu aufgerollt, fuhr Floréal Romero fort. Er habe die modernen Revolutionen untersucht, etwa die “Levellers” in England, die Pariser Kommune von 1871 oder die Spanische Revolution von 1936. Seine Feststellung: Immer, wenn Menschen dominiert wurden, gab es automatisch auch eine Gegenbewegung.

Auch die Grünen in Deutschland waren zu Beginn eine emanzipatorische Bewegung – bis die “Realos” über die “Fundis” gewannen und die Grünen zu einer staatstragenden Partei machten. Bookchin plädierte stattdessen für selbstorganisierte Bewegungen in der Gesellschaft, die sich vom Staat emanzipieren: Politik soll nicht in den Händen der Politiker*innen liegen, sondern die Entscheidungsmacht soll von allen Menschen getragen werden. Beispielsweise können Bürger*innenversammlungen (“assemblées citoyennes”) beraten, was die Leute wirklich brauchen und wie es organisiert wird. Daraus könnte sich parallel zum Staat eine Bewegung entwickeln, die auf wirklichen Bedürfnissen basiert.

Diese Bewegung dürfe aber keine Avantgarde sein, die allen sage, wo es lang gehe, betonte Romero. Sondern es gehe um populäre Bildung (“éducation populaire”), die uns befähige zu agieren. “Es sind nur Vorschläge”, meinte Romero, “ein Horizont, der uns eine Konvergenz ermöglicht.” Wir sollten uns bewusst werden, was für eine Kraft wir haben, wenn wir unsere Kämpfe verbinden: Gewerkschaften, Ökolog*innen, Feminist*innen, Kämpfe gegen Kolonialismus, Quartierbewegungen.

Netzwerke bilden und ein Kräfteverhältnis aufbauen

Ohne gemeinsames Ziel gebe es aber keine Konvergenz, deshalb brauche es einen Dialog über die Frage: “Wie schaffen wir es, den Kapitalismus zu verlassen?” Individuelle Alternativen, wie z. B. Kooperativen, hätten nicht die Macht, den Markt wesentlich zu stören. Zudem seien vereinzelte Initiativen wie die ZADs den Angriffen des Staats ausgesetzt. Deshalb schlägt Floréal Romero vor, Netzwerke zu bilden. Das RESC in Frankreich sei ein Anfang. Es brauche aber unter uns noch mehr Reflexion darüber, welche Kapazität da sei, um etwas zu erschaffen. Es brauche eine Bewegung, die eine Parallele zu Markt und Staat bilde und die alles verbinde, auch Kultur und Ethik. Auch international müssten die Verbindungen gepflegt werden, beispielsweise mit der zapatistischen Bewegung.

In der Diskussion wurden weitere kommunalistische und verwandte Projekte angesprochen, etwa Nantes en Commun, Munizipalismus in Spanien, Bürger*innenlisten bei Lokalwahlen, Ernährungsinitiativen in Montpellier, Quartierversammlungen in Rennes (z. B. um eine Kindertagesstätte zu organisieren) oder die Zusammenarbeit mit der kurdischen Frauenbewegung in Marseille. Stichwort Kurd*innen: Eine Person rief dazu auf, an der Demo “100 Jahre Vertrag von Lausanne” teilzunehmen – von St. Imier wurde ein Bus zur Demo in Lausanne organisiert.

Anwesend waren auch das französische Mouvement Municipal, das mit einem Flyer dazu aufrief, demokratische Versammlungen in Quartieren durchzuführen, sowie Ecologie Sociale.ch aus Genf.

Eine weitere Person am Workshop sagte, auch prekarisierte Quartiere sollten einbezogen werden. Wenn alltägliche Fragen um Essen, Wohnen und Arbeiten diskutiert würden, schaffe das mehr Selbstsicherheit, um das Leben gemeinschaftlich in die Hand zu nehmen. “Eine Bewegung braucht die Unterstützung der Bevölkerung, um ein Kräftverhältnis aufzubauen”, fügte eine andere Person hinzu. Floréal Romero knüpfte an diese Aussage in seinem Schlusswort an, das er aber nicht als Schluss, sondern als Anfang sah: “Eine Revolution macht sich nicht einfach so!” Organisierung sei fundamental, um ein Kräfteverhältnis aufzubauen. Vor allem brauche es ein Netzwerk und eine Verstetigung der Reflexion: “Wir alle zusammen müssen eine Bewegung kreieren!”

Ein Film über das Leben von Murray Bookchin

Der Workshop von RESC war einer von über 300 Workshops, die während den fünf Tagen in zwölf Lokalitäten in der ganzen Stadt durchgeführt worden. Zusätzlich gab es eine grosse Buchmesse sowie Konzerte, Theater und Filme. Eine Filmvorführung über das Leben von Murray Bookchin wurde zu einem weiteren Brennpunkt, an dem sich an Kommunalismus interessierte Personen trafen und in Dialog traten. “Beyond Domination and Hierarchy, Libertarian Practices for an Ecological Society” von Alex Pasco, präsentiert vom Centro Studi Libertari/Archivio Giuseppe Pinelli, Milano, in Zusammenarbeit mit elèuthera editrice, ist ein biografischer Dokumentarfilm, der 2021 zum 100. Geburtstag von Murray Bookchin produziert wurde. In St. Imier wurde eine neue, auf Englisch vertonte Version des italienischen Originals gezeigt. Die Erzählstimmen übernehmen Debbie Bookchin und Paul McIsaac.

Ein weiterer Bericht (auf Französisch) kann hier nachgelesen werden: https://www.ecologiesociale.ch/lecologie-sociale-aux-ria-2023-de-st-imier/

Pad/Liste zur Vernetzung von Personen und Organisationen: https://shorturl.at/dBHK4

Ein nicht-ausbeuterisches Verhältnis zur Natur

Was die heutige Ökologie vom französischsprachigen Anarchismus um 1900 lernen kann

Rot und grün, Sozialismus und Umweltschutz – wie passt das zusammen? Diese Frage ist in jüngster Zeit in den Vordergrund gerückt, seit die Klimabewegung begonnen hat, Ökologie und Kapitalismuskritik miteinander zu verbinden. In diesem Zusammenhang wird auch nach historischen Vordenker*innen der so bezeichneten “sozialen und ökologischen Transformation” gesucht. An der WEF-Gegenveranstaltung “Das andere Davos” im Januar 2021 hat beispielsweise der amerikanische Marxist John Bellamy Foster über die ökologische Seite von Karl Marx referiert, die bisher zuwenig beachtet wurde. Weitere Beispiele: Rund um das Engels-Jahr 2020 wurde über Friedrich Engels’ “Dialektik der Natur” geschrieben und das Magazin “Strassen aus Zucker”1 rollte in einem Artikel das Verhältnis Mensch–Natur historisch auf.

Der Historiker Milo Probst, Assistent an der Universität Basel, hat weitere Kandidat*innen ausfindig gemacht, wo man sie nicht unbedingt erwartet hätte: in der anarchistischen Szene der Welschschweiz und in Frankreich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. In seinem Aufsatz “Mit Klassenkämpfen ins Anthropozän. Naturverhältnisse im französischsprachigen Anarchismus circa 1870–1914”2 analysiert er Artikel aus anarchistischen Zeitschriften von Autoren3 wie Peter Kropotkin oder den Gebrüdern Reclus.

Historische Akteur*innen ernst nehmen

Milo Probst interessiert nicht nur das Verhältnis Mensch–Natur an sich, sondern auch, wie sich Historiker*innen damit auseinandersetzen. Er fühlt sich der “rekursiven Geschichtsschreibung” verpflichtet: Diese sucht nicht nur blosse Ähnlichkeiten zwischen heute und früher, sondern fragt auch, “wie sich Konzeptionen aus der Vergangenheit auf die Gegenwart anwenden lassen und zur Schärfung analytischer Konzepte beitragen können.”4

Seine Grundthese lautet, dass die Konflikte, die sich um Arbeit, Kapital und Besitz drehen, auch Konflikte um gesellschaftliche Naturverhältnisse sind. Innerhalb der Linken wird der Klassenkampf oft höher bewertet als der Kampf gegen die Umweltzerstörung. Klasse gegen Klasse gilt als Hauptwiderspruch, Mensch gegen Natur nur als ein Nebenwiderspruch. Aber nicht alle stimmen in diesen Kanon ein. Damals wie heute gab es “dissonante Stimmen”. Milo Probst ruft dazu auf, die historischen Akteur*innen und ihre konfliktreichen Diskussionen über Natur ernst zu nehmen. Klassenkampf sollte nicht mehr als etwas verstanden werden, was linke Menschen davon abhält, “ihre Beziehungen zur Natur angemessen zu reflektieren”.

Land als “Commons”

Doch zurück zu den Anarchisten. Anfang der 1870er-Jahre, nach der Spaltung der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) entwickelte sich der französischsprachige Schweizer Jura zu einem Zentrum der anarchistischen Bewegung. (Am Ende des Jahrzehnts verlagerte sich diese “Szene” nach Frankreich.) Das Verhältnis Mensch–Natur taucht in den damaligen anarchistischen Zeitschriften immer wieder auf. Beispielsweise in Form der natürlichen Ressource Boden. Milo Probst stellt fest, “dass die Anarchisten eine kollektive Verwaltung des Bodens befürworten und so den ‘entbetteten’ Naturverhältnissen im Kapitalismus eine kollektive, solidarische und nachhaltige Alternative entgegenstellten, in denen die Güter der Natur gemeinschaftlich – heute würden wir sagen als Commons – organisiert wurde.”

Der Kapitalismus “entbettet” also das Verhältnis Mensch–Natur. (“Entfremdet” wäre heute vielleicht ein geläufigeres Wort.) Das impliziert, dass in einem früheren gesellschaftlichen Zustand diese “Entbettung” noch nicht vollzogen war: “Das ‘Retten’ von kommunalen Gesellschaftsformen über die kapitalistische Modernisierung hinweg wurde so zu einem erklärten Ziel.”

Die Anarchisten kritisierten instrumentelle, ausbeuterischen Verhältnisse zur Natur, wie sie der Kapitalismus schafft, und hielten ihnen libertäre, ökologisch nachhaltige entgegen. Peter Kropotkin klingt erstaunlich modern, wenn er über Dezentralisierung, Gartenstädte, neue Landwirtschaftsformen, die Emanzipation der Frauen oder die Überwindung des Stadt-Land-Gegensatzes schreibt. Milo Probst sieht ihn5 als Vorkämpfer einer antikapitalistischen, basisdemokratischen und egalitären Umweltkritik.6

Die Anarchist*innen waren sich insofern einig mit Marx, dass Kapitalismus und Lohnarbeit zu einer Entfremdung der Menschen von ihren Lebensgrundlagen führt, insbesondere wo das “Eigentum an Grund und Boden” im Spiel ist. Sie kritisierten also den Dualismus Natur–Mensch nicht nur aus philosophischen Gründen, sondern weil er konkrete sozioökonomische Auswirkungen hat.

Am IAA-Kongress in Basel 1869 setzte sich die Ansicht durch (gegen die Vertreter der individualistischen Strömungen), dass der Boden und die Schätze der Natur der Gemeinschaft gehören sollten. Der Kongress forderte die Kollektivierung des Bodens: Die Beziehung zur Natur sollte eine kollektivistische sein. Natur, verstanden als Pool von natürlichen Ressourcen, sollte als Commons genutzt werden, von Kiesgruben bis zu Fischgründen. Die Einhegung der Commons (heute ein vieldiskutiertes Thema) war damals schon in den Köpfen als Problemfeld präsent.7

Mann–Frau, Mensch–Tier, Reformpädagogik

Einige weitere Dimensionen des Mensch–Natur-Verhältnisses spricht der Aufsatz ebenfalls an: etwa die Herrschaftsbeziehung des Mannes über die Frau in der bürgerlichen Ehe oder das Verhältnis Mensch–Tier. Ein längeres Kapitel ist der Reformpädagogik gewidmet. Die Beziehung Mensch–Natur sei in der Reformpädagogik intensiv verhandelt worden – in der Forschung sei dieser Punkt bisher nahezu unbeachtet geblieben, merkt Probst an. Er präsentiert die Reformpädagogik als Gegenstück zur Konzeption von “Natur als Ressource”8: Die Kinder sollten die Natur mit den Sinnen erfahren und nicht, wie der Kapitalismus, als “auszubeutende Mine” sehen. Bildung sollte nicht-instrumentell sein.

Fazit: Argumente für die Klimabewegung

Die Annäherung von “rot” und “grün” ist nicht eine Erfindung der Umweltbewegung der 1970er-Jahre, sondern schon bei den Anarchist*innen9 im 19. Jahrhundert angelegt. Wenn die heutige Klimabewegung der breiteren Bevölkerung die Zusammenhänge von Umweltschutz und Gesellschaftsformen deutlich machen will, dann findet sie in den historischen Texten womöglich wertvolle Argumente. Die Beschäftigung mit Naturverhältnissen zu verschiedenen historischen Zeiten lohnt sich. Sie regt dazu an, sich Fragen zu stellen: Was hat sich im Denken geändert, was ist gleich geblieben, was ist zeitlos, was ist den Umständen geschuldet (der gerade aktuellen “Stufe” der kapitalistischen Entwicklung), und vor allem: Wie können Alternativen zu den herrschenden Narrativen gefunden werden und als “dissonante Stimmen” laut werden.

1 strassenauszucker.tk/2019/12/warum-wir-die-natur-nicht-retten-wollen

2 Erschienen in Geschichte und Gesellschaft 46, Göttingen, 2020, S. 606–633; https://www.vr-elibrary.de/doi/abs/10.13109/gege.2020.46.4.606

3 Milo Probst zitiert aufgrund der Quellenlage ausschliesslich männliche Autoren, räumt aber ein, dass die damalige Bewegung natürlich nicht nur aus Männern bestand.

4 Der Aufsatz von Milo Probst erwähnt, dass die Geschichtswissenschaft, wie er sie betreiben möchte, auch Theorien aus der Anthropologie anwendet. Der Bezug zur Anthropologie ist hochaktuell, gerade in Verbindung mit Anarchismus: Der 2020 verstorbene Anthropologe David Graeber hat Anthropologie und anarchistisches Gedankengut verbunden und in die Diskussionen eingebracht. Im Herbst 2021 erscheint voraussichtlich das von ihm und David Wengrow gemeinsam geschriebene Werk The Dawn of Everything: A New History of Humanity, das die Geschichte der Ungleichheit neu untersucht. Ebenfalls 2021 soll Anthropology and Dialectical Naturalism von Brian Morris erscheinen, ebenfalls Anthropologe und dem Anarchismus nahestehend.

Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Anthropologie auch schon früher im Umfeld von Anarchismus und Ökologie auftauchte. Murray Bookchin hat in The Ecology of Freedom (1982) anthropologische Konzepte verwendet und Anthropolog*innen zitiert. Mit einem anthropologisch gestützen Narrativ erklärt er die Entstehung von Hierarchien und Ungleichheit und verknüpft dies mit dem Verhältnis von Mensch und Natur.

5 In einer Fussnote erwähnt Probst, dass Murray Bookchin massgeblich von Kropotkin inspiriert war. Es ist zwar das einzige Mal, dass in dem Aufsatz der Name Bookchin auftaucht, aber thematische Gemeinsamkeiten lassen sich auf den rund 30 Seiten laufend finden. Als Begründer der Sozialen Ökologie (social ecology) war Murray Bookchin in der Umweltbewegung des 20. Jahrhunderts einer der Ersten, der “rot” und “grün”, sozial und ökologisch zusammendachte.

6 A propos Vorkämpfer: Die Anarchist*innen waren natürlich Kinder ihrer Zeit und als solche auch der damaligen Ideologie des Positivismus verhaftet. Sie vertraten somit auch Positionen, die heute teilweise als überholt gelten. Es wäre daher verfehlt, bei Kropotkin und seinen Zeitgenoss*innen nur das Moderne sehen zu wollen. Milo Probst betont aber, das die Anarchist*innen innerhalb dieses (naturalistischen, positivistischen) Diskurses eine “dissonante Stimme” darstellten. – Um eine solche “dissonante” Sichtweise zu erörtern, zieht Milo Probst den Anthropologen Philippe Descola und dessen Buch Jenseits von Natur und Kultur (2013) bei: Die Alternative zur strikten positivistischen Trennung von Mensch und Natur sei ein “Kontinuum” von Natur und Kultur. Das erinnert wiederum startk an Murray Bookchins Formulierungen. Bookchins dialektischer Naturalismus geht von einem fliessenden Übergang von erster Natur zu zweiter Natur (menschliche Kultur) und schliesslich freier Natur (harmonisches, fruchtbares Verhältnis) aus. Berühmt ist Bookchin auch für seinen Ansatz, dass die Herrschaft von Menschen über andere Menschen überhaupt erst zu dem Gedanken geführt hat, dass Menschen die Natur beherrschen könnten und nicht etwa umgekehrt.

7 Interessant ist auch, dass am Basler Kongress als Gegenbeispiel zur privatisierten Ausbeutung des Bodens indigene Stämme in Wisconsin genannt wurden, die Feldarbeit kollektiv verrichteten. Schon damals gab es also “anthropologische” Argumente.

8 Auch Murray Bookchin kritisiert das Wort “Ressource” im Sprachgebrauch. Ökologie heisst für ihn nicht nur, sparsam mit Ressourcen umzugehen, sondern von Grund auf ein harmonisches, dialektisches Verhältnis als Ausgangspunkt zu nehmen.

Im Kapitel über Reformpädagogik deutet sich an, dass der damalige anarchistische Diskurs durchaus differenziert und vielschichtig war. Insofern Anarchist*innen die Natur als kollektiv zu nutzende “Ressource” ansahen, verblieben in einer instrumentellen, materialistischen, positivistischen Haltung. Demgegenüber ist die Reformpädagogik Audruck einer divergenten Strömung.

9 Und natürlich auch bei Engels und Marx, aber das ist nicht Thema in dem besprochenen Aufsatz.